Tagebuch des Herrn Ludwig
Vencour,
seines Zeichens Büroleiter (Lohnbüro)
der Fa. Hornyphon
AG,
Beginn der Aufzeichnung am 4. 4. 1945, Ende: 31.
9. 1945
Umfang ca. 200 A4- Seiten, handgeschrieben.
Vorwort
Durch Vermittlung von Herrn Wolfgang Scheida habe
ich diese
Unterlagen (Kopien) von Herrn Architekt Dipl. Ing. Erich Vencour (Sohn
des
Tagebuchautors) erhalten. Herr Ludwig Vencour schildert zu Beginn des
Tagebuches
die letzten Kriegstage in Wien. Seine Frau Maria und seine Söhne
Erich und
Gerhard sind aus Sicherheitsgründen vorübergehend nach
Wallern gezogen, um
dort das Kriegsende abzuwarten. Wallern (Böhmen) war bis
Kriegsende deutsches
Gebiet, nahe der bayrisch- österreichisch- tschechischen Grenze.
Das Gebiet um
Wallern musste nach Kriegsende an Tschechien abgetreten werden, aus
Wallern
wurde Volary. Das weitere Schicksal seiner Frau und der Kinder geht aus
dem
Tagebuch nicht hervor, sie waren zu diesem Zeitpunkt noch immer in
Tschechien.
Ich finde es unumgänglich, dass auch ein
wenig privates
Umfeld und die dramatische Situation in Wien während und besonders
nach dem
Krieg dem Leser dieser Zeilen nicht vorenthalten wird. Geburts-
Jahrgänge nach
1950 können sich die triste und gefährliche Situation
während und nach dem
Krieg kaum vorstellen. Textauszüge aus dem Tagebuch wurden
wortgetreu
übernommen.
Eventuelle Ergänzungen oder Erklärungen wurden von mir in
Klammern gesetzt.
Gerhard Heigl, Herzogenburg am 4. 2. 2007
Auszüge aus dem Tagebuch:
Wien, 4. 4. 1945
Nachdem die Russen schon über Baden, Tribuswinkel und
Gumpoldskirchen
vorgestoßen sind, wurde schon heute bekannt gegeben, dass sich
dieselben
bereits in Liesing und Umgebung befinden. Ich habe noch gestern in
aller Eile
den Auftrag erhalten, das Lohnbüro (in der Südbahngasse) wie
es liegt und
steht, in das Stadtbüro am Dr. Karl Luegerring zu
übersiedeln. Ich habe
versucht einen Wagen zu bekommen, jedoch umsonst. Kurzerhand habe ich
einen
Handwagen requiriert, damit ist es mir gelungen die wichtigsten
Unterlagen für
die Lohnverrechnung zu übersiedeln. Gegen Mittag fuhr der
Lastwagen in das
Stadtgeschäft und hat noch 1 Schreibtisch und 1 Sessel, sowie die
restlichen
Unterlagen und wichtigsten Drucksorten mitgenommen. Ich hoffe jedoch
noch immer,
dass ich die restlichen Büromöbeln und die ältere
Korrespondenz unterbringen
könnte. Ich bin zu diesem Zweck nochmals ins Werk mit der
Straßenbahn
gefahren, um mich um den Abtransport der restlichen Sachen zu
kümmern, aber
leider umsonst, denn ein Lastwagen war ja doch nicht mehr aufzutreiben.
Es war
das letzte Mal, dass ich im Werk war.
Am
5. 4. 1945 wollte ich in der Frühe nochmals hinfahren, jedoch
waren schon
alle Zufahrtsstrassen sowie Bahndurchlässe, welche vom 10. Bezirk
hereinkommen
blockiert und verbarrikadiert. Der Zugang zu unserem Werk
(Südbahngasse) wurde
mit einem alten ausgebrannten Panzer verbarrikadiert. Also in das
Stadtgeschäft.
Dort hatte sich schon eine größere Menschenmenge
angesammelt, welche alle noch
Geld wollten, bevor der Feind kam. So gegen 10 Uhr vormittags hatte die
leichte
und schwere Artillerie ihr Duell begonnen, welches den ganzen Tag
andauerte.
Unter diesem Kanonendonner habe ich noch den Leuten Vorschüsse
ausbezahlt.
Gegen Mittag des 5. April wurde durch den Rundfunk das Stichwort
„Wien rechts
der Donau“ gegeben. Jetzt begann eine sinnlose Vernichtung aller
wichtigen
Unterlagen und Apparate sowie Maschinen. Um 17 Uhr bin ich dann nach
Hause
gefahren, da war schon in allen Strassen und Gassen die Hölle los.
Die Leute
waren nicht mehr zu halten und haben den größten Teil der
Geschäfte geplündert.
Wie ich zur Linzerstrasse gekommen bin, habe ich schon gesehen wie die
Leute zur
Westbahn laufen. Dort haben angeblich die SS die Lebensmittelmagazine
aufgemacht
und der Plünderung preisgegeben. Was da die Leute weggeschleppt
haben, spottet
jeder Beschreibung. Ganze Säcke Mehl, Grieß, Reis, Hirse,
Zucker. Ganze Ballen
Stoffe und unfertiges Leder. Ganze Fässer voll Butter, Schmalz und
Marmelade.
Nachdem in den Magazinen die Leute wie die Wilden gehaust haben, wurde
der größte
Teil der Lebensmittel zertreten und damit ungenießbar
gemacht…..
Heute Mittwoch 11. 4. 1945
habe ich versucht in das Stadtgeschäft vorzudringen und
bin über die
Mariahilferstrasse bis zur Stiftskaserne gekommen, weiter ging es
nicht, nachdem
in der Stadt noch gekämpft wird. Der Gürtel war die erste
große
Widerstandslinie. Bei der Kaiserstrasse waren starke Barrikaden
errichtet
worden. Um den Westbahnhof wurde erbittert gekämpft, die Folge
davon: gänzliche
Zerstörung des Bahnhofes teils durch Artillerie, teils durch
Brand….
Donnerstag 12. 4. 1945
Heute war es etwas ruhiger mit dem Schiessen. Ich habe
wieder versucht ins
Geschäft zu kommen und bin über die Westbahnstrasse zur
Bellaria. Aber dort
waren die Russen noch…..Auf diesem Weg habe ich schon
überall furchtbare Verwüstungen
und zum Teil tote Soldaten gesehen. Aber wie ich den Stephansplatz mit
der
ausgebrannten Stephanskirche gesehen habe, da war mir schon schwer ums
Herz. (Der Stephansdom hat 3 Tage lang gebrannt. Am 12. April um 14:30
ist die Pummerin abgestürzt und zerbrochen). Außerdem
sind sämtliche Häuser am Stephansplatz vom Keller bis
zum Dachboden
ausgebrannt… Ich bin über die Kärntnerstrasse retour
gegangen und zwar über
den Opernring zur Babenbergerstrasse. Auf dem Weg dorthin wurde ich von
einem
Russen aufgefordert, mit noch anderen Männern, einen Pferdekadaver
zu begraben.
Dies war in einer ½ Stunde geschehen und ich konnte meinen
Rückweg nach Hause
antreten. Man darf sich auf der Gasse nicht blicken lassen, schon hat
einem ein
Russe erspäht und da heißt es roboten. In der Zeit von 6 bis
8 Uhr morgens ist
das, (wegen) Zusammenstellen von männlichen Arbeitstrupps, am
gefährlichsten.
Ich konnte vom Fenster beobachten, wie die männlichen Personen
zusammengetrieben wurden. Und zwar steht bei jeder Gasse ein Russe und
hält
alle Männer an. Wenn dann der Arbeitstrupp, ca. 150 Mann,
beisammen ist, kann
man wieder ziemlich unbehelligt die Strasse passieren.
(Kriegsende in Österreich 13. 4. 1945)
Montag 16. 4. 1945
Heute bin ich mit einer Kollegin die in der Märzstrasse
wohnt um 8 Uhr früh
ins Geschäft gestartet, das heißt zuerst sind wir zu unserem
Administrationschef Hr. Ridiger in die Linke Wienzeile und von dort
sind wir zu
Philips in die Neubaugasse 1, weil unser Werk in der Südbahngasse
gänzlich
durch Brand zerstört wurde. Bei dieser Gelegenheit muss ich
festhalten, dass
mein sämtliches Inventar, wie Schreibtische, Sesseln, Kasten,
Rollschränke,
Pulte und die große eiserne Kasse als auch die Korrespondenz,
sowie sämtliche
Unterlagen aus dem Jahre 1943 und früher, dem Brand zum Opfer
gefallen sind.
Ich habe trotzdem das Glück gehabt, dass ich die laufenden
Unterlagen alle
sichergestellt habe. Unser Werk in Tribuswinkel ist nach Angaben
gänzlich
unversehrt. Als Vertreter unseres Werkes mit einer Belegschaft von ca.
1800
Personen, waren nur 13 Personen vertreten. An Arbeit ist noch nicht zu
denken,
da meine ganzen Leute vom Lohnbüro fehlen. Es wurde vereinbart,
dass alle
Anwesenden vorläufig einen Journaldienst von 9 bis 17 Uhr
aufnehmen sollen,
damit alle sich meldenden erfasst werden können.
Dienstag 17. 4. 1945
Die Leute melden sich nur vereinzelt, wahrscheinlich ist das
darauf zurückzuführen,
weil einzelne Bezirksteile noch immer sehr stark von den Russen besetzt
sind und
außerdem die Männer nach wie vor zum roboten aufgehalten
werden. Bei Beginn
der Kampfhandlungen wurde das elektrische Licht abgeschaltet und so
sitzen wir
Abend für Abend beim Kerzenlicht und müssen schon aus
Ersparnisgründen um 21
Uhr schlafen gehen. Außerdem wurde durch den russischen
Stadtkommandanten verfügt,
dass sämtliche Radioapparate und Bestandteile abzugeben sind. Ich
lasse aber
vorläufig meinen Apparat in der Wohnung stehen, bis weitere
Weisungen kommen.
Außerdem kann ich ja sowieso nicht hören, nachdem kein Strom
vorhanden ist.
Montag 23. 4. 1945
Heute habe ich mit meinen Leuten die Tätigkeit im
Stadtbüro aufgenommen.
Festgelegt wurde eine Bürozeit am Montag, Mittwoch und Freitag von
9 bis 14 Uhr
und am Dienstag und Donnerstag von 12 bis 17 Uhr, damit den Frauen die
Möglichkeit
geboten werden kann, dass sie sich ums Brot anstellen können.
Sonntag 6. 5. 1945
Die Zeitungen bringen immer neue Meldungen über den
Zerfall des
Reiches…..Bei uns in Österreich wurde schon von der
provisorischen Regierung
viele durchgreifende Verordnungen und Gesetze erlassen. Auch wurde
verlautbart,
dass die Radioapparate nicht mehr abgeliefert werden müssen und
auch der
Empfang freigegeben wurde. Seit dem 28. 4. 1945 existieren schon wieder
Radiosendungen von Radio Wien, veranstaltet von der RAVAG, jedoch mit
der Beschränkung,
dass nur von 7 bis 8 Uhr früh, von 12 bis 14 Uhr und von 19:30 bis
21:30 Uhr
gesendet wird. Diese Beschränkung ist darauf
zurückzuführen, dass der
Bisambergsender vollkommen zerstört wurde von der SS.
Außerdem leiden wir
unter großem Kohlenmangel, wir haben auch noch immer keinen
Strom……Von
unserem Werk in Tribuswinkel haben wir auch erfahren, dass die Russen
sämtliche
Maschinen bis zum letzten Schraubstock abmontiert und weggeführt
haben. Außerdem
wurden die Kassen im Lohnbüro aufgebrochen und der wertlose Inhalt
auf den
Boden geworfen und der wertvolle Inhalt, das war ein
größerer Geldbetrag,
mitgenommen….
Heute habe ich von unserer Geschäftsführung den Auftrag
bekommen morgen den
15. 5. 1945 in unser Werk nach Tribuswinkel zu fahren und zwar mit
einem Monos-Dreirad, um die restlichen Lohnunterlagen
hereinzubringen…..
Mittwoch 16. 5. 1945
(Brief an seine Frau Maria:) Gestern bin ich nach
Tribuswinkel gestartet. Die Fahrt war annehmbar nur mit dem
Unterschied, dass
das Monosdreirad ihre Mucken hatte.
 |
Aber Gott sei Dank sind wir
draußen gut
angekommen. Wir konnten nicht sofort unsere Tätigkeit aufnehmen,
nachdem
russische Militärautos dabei waren, den ganzen
Metallrohstoffbestand wegzuführen.
Wenn wir uns da blicken ließen, müssten wir den Russen
verladen helfen. Wenn
sie uns schon gänzlich ausplündern, dann sollen sie es
wenigstens alleine
machen, ohne deutsche Hilfe. Um 11 Uhr konnten wir endlich unsere
Räume
betreten. Ich war schon auf etwas gefasst, aber das was ich dort
gesehen habe,
spottet jeder Beschreibung. Im Lohnbüro waren sämtliche
Schreibtische, Kästen,
Garderobekästen, Rollschränke, Pulte und die 2 eisernen
Kassen aufgebrochen
und sämtliche Sachen welche in den vorgenannten
Einrichtungsgegenständen
enthalten waren, kurzerhand auf den Boden geworfen. Der erste Anblick
war ein
Papiermeer von Schriftstücken, Arbeitsbücher,
D.A.F.Bücher,
Invalidenversicherungskarten, Stammblätter, Steuerkarten,
Arbeiterkartothek,
Stempelkarten, Lohntüten, Bestätigungen über ausbezahlte
Akonto-Zahlungen,
Drucksorten u. a. m. Du kannst Dir lebhaft vorstellen wie mir war. Aus
diesem
ganzen Sauhaufen diese Unterlagen herauszufinden, welche ich zur
Lohnabrechnung
benötige. Ich habe systematisch mit dem Ordnen der Belege
angefangen und es ist
mir gelungen bis 15 Uhr die wichtigsten Belege geordnet zum Abtransport
bereit
zustellen. Dabei haben die Russen ununterbrochen Rohmaterial
weggeführt. Der
Wagen sollte um 15 Uhr wieder zurück nach Wien fahren. Aber es ist
nichts
daraus geworden, nachdem die Triebkette abgerissen ist und dieselbe
erst
repariert werden musste. Um 18:45 Uhr sind wir endlich zur Fahrt nach
Wien
gestartet. |
Auf der Triesterstrasse vor dem Wienerberg
konnte das
Vehikel nicht
mehr weiter, also absitzen und anschieben. Außerdem sind der
Schlauch und der
Mantel vom rechten Vorderrad kaputt gegangen, sodass wir genötigt
waren, auf
der Felge weiterzufahren, was eigentlich nicht viel scheniert hat. So
bin ich um
20 Uhr bei der Babenbergerstrasse gelandet. Nachdem aber keine
Straßenbahn fährt,
musste ich zu Fuß nach Hause gehen und bin glücklich um 21
Uhr angekommen.
Dabei ist aber nur Ausgangszeit von 7 Uhr früh bis 20 Uhr abends.
Du darfst
aber nicht vergessen, dass man nirgends etwas zu essen bekommt, nachdem
die
Gasthäuser geschlossen haben. Ich habe bloß 2
Mignonbrötchen mit Marmelade
bestrichen, mit gehabt, weil es eben mehr nicht trägt. Am Abend
habe ich schon
gemeint der Magen hängt mir heraus. Wir haben seit den
kriegerischen
Ereignissen vom 5. 4. 1945 außer Brot, noch keine
Lebensmittelzuteilungen
erhalten. Brot bekommen wir 500 Gramm für die ganze Woche, das
heißt 70g pro
Tag. Da weiß man wirklich nicht, soll man das Brot in der
Frühe, zu Mittag,
oder am Abend essen…..Seit 6 Wochen kein Fett, kein Fleisch,
kein Mehl, keine
Nährmittel, kein Gemüse, keine Kartoffel, keine Rauchwaren,
das heißt mit
anderen Worten überhaupt nichts. Mein Gewand läuft schon
allein, ich bin schon
so abgemagert, dass mir alle Kleidungsstücke zu groß
sind….
Samstag 26. 5. 1945
Die Tage schleichen so dahin, man weiß nicht, soll man
sich freuen oder
soll man traurig sein. Es ist zwar Waffenruhe, aber dieselbe lässt
kein
richtiges Freudengefühl aufkommen, denn wo man hinsieht, liegt
alles auf dem
Bauch. Die „Befreier“ haben gründliche Arbeit
geleistet. Sie haben alle großen
Werke vollständig abmontiert, sämtliche Autos und sonstige
Fahrzeuge
requiriert und für sich verwendet. Es bleiben bloß nur die
ganz alten Autos
und sonstige alte Fuhrwerke uns zur Verfügung. Mit diesen
primitiven Behelfen
sollen wir einen Staat aufbauen…Die Geschäfte sind
sämtlich vollständig
leer und ausgeplündert und eine Zufuhr von außen kann
momentan auch noch nicht
in Frage kommen, nachdem die Bahnen noch nicht funktionieren, haben wir
keine
Frachtwagons und Lokomotiven zur Beförderung von lebenswichtigen
Gütern…
…..umso mehr als ich im Geschäft auch die Sorge habe,
werden wir wieder erzeugen können, oder muss der ganze Kram
liquidiert werden.
Mein Hauptgeschäft besteht jetzt nur noch, die
überflüssigen Leute abzubauen
und abzurechnen. Auch habe ich das Gefühl, dass der
Geschäftsführung die
Gehalte von den Führungskräften zu hoch sind und dass sie das
Besteben haben,
dieselben so rasch wie nur irgendwie möglich, los zu werden…
Heute wurde in der Zeitung bekannt gegeben, dass über
Intervention des Staatskanzlers Dr. Renner beim Marschall Stalin, von
russischer
Seite aus eine Lebensmittelaktion für Wien, ab 1. 6. 1945
einsetzt. Demnach
erhalten wir ab diesem Datum eine höhere Zuteilung an Brot, ferner
bekommen wir
Grütze, Fleisch, Fett, Salz und Kaffeeersatz zugewiesen. Brot
bekommen wir
statt 70g pro Tag 300g. Jedenfalls ist diese Mitteilung ein Lichtblick
in das
Dunkel…. Licht (Strom) haben wir auch noch nicht, damit ich
wenigstens Radio hören
könnte….
Sonntag 27. 5. 1945
Heute wurde in der Zeitung verkündet, dass wir in
absehbarer Zeit wieder
mit der vollen Stromversorgung rechnen können. Es wird fieberhaft
an der
Instandsetzung der Hochspannungsleitungen gearbeitet. Der Strombezug
aus dem
Kraftwerk Opponitz wird noch ca. 5 bis 6 Wochen in Anspruch nehmen,
nachdem die
Leitungen zu arg zerstört sind….
Freitag 1. 6. 1945
Heute hat die Großmutter im Haus das elektrische Licht
bekommen. Gott sei
Dank dass es jetzt einmal mit der Finsternis ein Ende hat. Jetzt kann
ich
wenigstens Nachrichten horchen und
höre
auch sonst noch schöne Wiener Musik. Ich bin nur neugierig wann
wir in der
Johnstrasse das lang ersehnte Licht bekommen.
Freitag 15. 6. 1945
Diese Woche ist der Großmutter ihr Radioapparat kaputt
gegangen, das heißt
eine Röhre und ein Widerstand ist kaputt. Ich habe den Apparat zu
uns in
Reparatur übergeben, aber ob ich die Röhre bekomme, ist noch
ein großes
Fragezeichen. Nachdem ich in meiner Wohnung (Johnstrasse) noch immer
kein Licht
habe, habe ich einstweilen meinen Apparat zur Großmutter hinunter
getragen,
damit man wenigstens Nachrichten hören kann. Es ist halt gleich
etwas anderes
wenn das Radio spielt, umsomehr als jetzt lange nicht gehörte
Musik zum Vortrag
kommt. Nachdem bis jetzt die Sendezeiten nur auf 6 Stunden pro Tag
beschränkt
waren, wird ab heute von 6 Uhr früh bis 22:30 Uhr abends mit 2
stündiger
Unterbrechung gesendet…..Gestern war ich auch am Postamt
wegen Erneuerung der Radioteilnehmergebühren. Es wurde die
alte
Genehmigung, wo der Hitlervogel drauf ist, eingezogen und eine neue
Genehmigung
ausgestellt. Ordnung muss sein.
19. 7. 1945
….Wir haben in der Johnstrasse schon seit 4 Monaten
kein Gas und kein
Licht…..Heute habe ich im Geschäft einen neuen Radioapparat
erworben und zwar
wird derselbe in der Bauernstube Aufnahme finden, an Stelle des alten
Apparates,
welchen ich wahrscheinlich der Großmutter zur Verfügung
stellen werde.
Momentan ist mir gar nicht gedient damit, weil ich ja noch keinen Strom
habe….
Dienstag 24. 7. 1945
…Ich verdiene derzeit ja ganz schön und kann mir
trotzdem nichts dafür
kaufen, weil man einfach ums Geld, mit Ausnahme der
Schleichhandelspreise,
welche ich mir jedoch nicht leisten kann, weil ich für diese
gigantischen
Preise, ein viel, viel zu kleines Einkommen habe: 1kg Schmalz RM 1500,
1kg Mehl
RM 150, 1 Ei RM 10, 1kg Zucker RM120, 1 Paar Schuhe RM 800 bis 1000, 1
Schachtel
Candiset RM 100 usw….
Donnerstag 16. 8. 1945
(Brief an seine Frau Maria) Heute war endlich der große
Tag der Übersiedlung meines Büros von der Neubaugasse in die
Giselhergasse
in unsere neue Fabrik (ehemals Kalkfabrik). Der Raum der mir zur
Verfügung
gestellt wurde, ist sehr licht und ruhig. Nur die Innenausstattung des
Büros lässt
noch etwas zu wünschen übrig. Es fehlt halt noch so manches,
was mit der Zeit
noch nachgeschafft werden muss. Im Großen und Ganzen bin ich sehr
zufrieden.
Gott gebe es, dass die Stellung auch weiterhin einen Halt hat. Wenn man
schon
einer Firma 15 Jahre angehört, so trennt man sich halt doch sehr
schwer von
derselben, wenn man auch manchmal Lust verspürt, alles hinzuwerfen
um etwas
anderes zu beginnen. Du weißt ich bin kein Freund vom
Postenwechseln, umso mehr
als ich bei meiner jetzigen Firma
eine ganz schöne Position erreicht habe. Schließlich und
endlich tue ich das
alles ja nur für Euch, damit Euch das Leben leicht gemacht wird.
Ich will ja
nichts anderes, als Dir und den Kindern die Zukunft sicherstellen und
wegen dem
nehme ich sehr viel Widerwärtigkeiten auf mich, um nur meine
Position zu
halten, die ich mir in mühsam aufreibender Tätigkeit
geschaffen habe.
Hoffentlich sind meine Bemühungen von Erfolg gekrönt.
Sonntag 26.8. 1945
….Heute um 11:50 Uhr haben wir endlich das
elektrische Licht bekommen. Du
kannst Dir gar nicht vorstellen wie angenehm das ist, dass endlich nach
5
Monaten wieder Licht ist und dass ich endlich wieder Radio hören
kann und zwar
mit meinem neuen Apparat.
Donnerstag 31. 8. 1945
Heute haben wir wieder unser Gehalt voll ausbezahlt
bekommen, was
jedenfalls ein großer Vorteil gegenüber anderen Firmen und
Ämter ist, welche
nur ein akonto- von RM 150 pro Monat zur Auszahlung bringen…
Freitag 7. 9. 1945
(Brief an seine Frau Maria) Am Freitag habe ich mir einen
½ Tag Urlaub genommen um nach Gmünd zu fahren. Die
Großmutter und ich waren
schon um 15 Uhr in Jedlesee anwesend um eine Fahrkarte zu erhalten. Bis
16 Uhr
mussten wir uns anstellen, bis wir endlich die Fahrkarten, jedoch ohne
Anstand,
erhalten haben. Der Zug ist um 17:30 Uhr von dort weggefahren. Der Zug
war
derart überfüllt, sodass die Leute auf den Trittbrettern und
auf dem Wagondach
sitzen und stehen mussten, dass sie mitfahren konnten. Wir haben
wenigstens
einen Stehplatz im Wagoninneren bekommen, mussten aber jedenfalls bis
Guntersdorf stehen, das waren 3½ Stunden.
Um 21 Uhr abends sind wir endlich glücklich gelandet. Von
Guntersdorf bis nach
Gmünd auch noch ein Weg von ungefähr ½ Stunde zu
Fuß zugehen. Wir sind halt
glücklich nach 21:30 Uhr in Gmünd bei den Eltern vom Hansl
angelangt. Zum
Nachtmahl hat uns die Frau Lödl eine Eieromelette von 4 Eiern
gemacht und dann
sind wir schlafen gegangen. Um ½ 5 Uhr früh war schon
wieder Tagwache. Wir
konnten uns die Rucksäcke auffüllen und haben doch 45kg
Erdäpfel zusammen
gebracht. Außerdem hat die Großmutter noch 1kg Mehl
bekommen, ½ Liter
Ziegenmilch und ein Stück Brot. Wir haben Glück gehabt, die
Erdäpfel hat uns
ein Bauer auf seinem Wagen mit zur Bahn genommen. Um ½ 10 Uhr
sind wir in einem
offenen leeren Kohlenwagon weggefahren, weil schon wieder so viele
Menschen
waren und sind glücklich um 13:15 Uhr in Jedlesee wieder gelandet.
Du kannst
Dir vorstellen was das für Strapazen sind, nur um das bisserl
Fressen. Ich habe
schon gemeint, dass die Großmutter die Strapazen nicht
aushält, aber sie war
tapfer und hat alles gut überstanden. So sind wir in den
glücklichen Besitz
von 45kg Erdäpfel gelangt. Das Kilo haben wir mit RM 0,50
bezahlt…
Montag 10. 9. 1945
(Brief an seine Frau Maria) Heute habe ich wieder ein
Schreiben von Dir, vom 9. 8. 1945 bestens dankend erhalten. Dieses
Schreiben hat
auch wieder genau einen Monat gebraucht, bis es den Weg zu mir gefunden
hat. Es
wundert mich nur sehr, dass Du meine Schreiben nicht bekommst. An
welcher Stelle
dieselben liegen bleiben, das wissen die Götter. Ich kann nicht
mehr tun, als
Dir unentwegt zu schreiben, hoffentlich findet doch ein Schreiben den
Weg zu
Dir.
Samstag 22. 9. 1945
….Ab 24. 9. 1945 gelten für Angestellte folgende
Tagesrationen:
400g Brot, 70g Fleisch, 30g Fett, 52g Hülsenfrüchte, 15g
Zucker, 200g Kartoffel, 100g Kaffee pro Zuteilungsperiode, 400g Salz
pro
Zuteilungsperiode….Ich bin schon neugierig ob wir diese
Lebensmittel auch tatsächlich
erhalten. Verlautbart wurde jetzt schon, dass momentan Fleisch und
Kartoffel
nicht abgegeben werden können, weil nichts da ist…
Sonntag 30. 9. 1945
….Am Anfang dieser Woche ist unsere
Geschäftsführung nach (St. Johann
im) Pongau abgereist, wo sich der Herr Horny und einige führende
Kräfte
unseres Werkes aufhalten um Verhandlungen wegen Rückführung
der dort
verlagerten Maschinen zu führen. Ich bin neugierig was sie
ausrichten werden.
Wir fangen jetzt schon langsam an in die Erzeugung zu gehen und zwar
mit
Radioapparate und Tauchsieder. Hoffentlich gelingt es uns,
genügend Rohstoffe
zu bekommen, damit die Erzeugung im Fluss bleibt….Wenn man sich
im Wohnraum
ohne Betätigung aufhält, so ist es nicht angenehm ohne Weste
zu sitzen. Ich
habe zu diesem Zweck meinen selbst konstruierten Kocher in
Tätigkeit gesetzt,
damit der Raum etwas temperiert wird. Es ist nur traurig, dass zu
dieser
katastrophalen Ernährungslage auch noch so rasch der Winter kommt.
Wenn man
nichts im Magen hat, empfindet man die Kälte doppelt so stark. Ich
nehme an,
dass das Wetter auf die Dauer noch nicht bleibt und dass noch
schönere und wärmere
Tage folgen werden.
Ende
(Herr Ludwig Vencour war bis zu seiner
Pensionierung 1966,
als Chef der Lohnverrechnung bei der Fa. Hornyphon beschäftigt.)
Korrigiert und ergänzt am 15. 12. 2016